Oster-Erinnerung
(geschrieben 1944 für meine im Kriege befindlichen Söhne)
Wißt Ihr es noch, wie einst so unbeschwert
wir feierten das Osterfest, das schöne?
Wie wir mit allem, was das Herz begehrt,
uns überschütteten, geliebte Söhne?
Da fehlte nichts – das kleine grüne Nest
mit bunten Zuckereiern in der Heide,
wer sah’s zuerst? Und da, wie angepreßt
ins Mauersims ein Küken, groß in gelber Seide.
Und braune Käfer, endlos an der Zahl,
Maikäfer sah man durch das Kraut sich winden.
Du brennst – du brennst! Ach Suchen welche Qual!
Du suchst und eilst und kannst sie doch nicht finden.
Und Vogeleier, grün und braun wie Harz,
mit Punkten, Strichen, zarten Ornamenten,
halbierte Hühnereier, weiß und gelb und schwarz,
und halbentschlüpfte kleine Zuckerenten.
Und immer Dieses: Brenn‘ ich?- O wie brennet Ihr!
Wie Feuer glühten eure jungen Wangen,
bis Ihr von allem leckeren Getier
die letzten Sonnenkäfer eingefangen.
O wißt Ihr noch? Ein Fest voll Sonnenschein,
daß sich die Welt in Liebe ganz verschöne
und neu ersteh‘ aus winterlicher Pein –
vergeßt es nicht, meine geliebten Söhne!
Anmerkung: Das Wort „brennen“ wurde beim Suchen verwendet. Wenn man sich dem Versteck näherte, gab es den Tipp „wärmer“, wenn man sich entfernte „kälter“ und wenn man ganz nah war, hieß es „es brennt“.
Für Harald zum Geburtstag 30. 12. 1944
Es geht auch dieser Tag zur Ruhe
zu all den endlos vielen, die nun schon
seit deinem Fernsein, du geliebter Sohn,
versunken sind in Gottes dunkle Truhe, –
der Tag, an dem du einst zu uns gefunden
den Weg in dieses Daseins irre Qual,
ein kleiner Stern, an dessem reinen Strahl
nach Krieg und Not wir sollten ganz gesunden.
Und eine Zeit des Glücks war uns beschieden,
dein junges Leben ließ uns vorwärts sehn,
das Grauen konnte nicht vor dir bestehn,
und alles schien nun ausgesöhnt in Frieden.
Da kam es über Nach, das Ungeheuer,
und legte seine Tatzen vor zum Sprung
und wirbelte mit einem einz’gen Schwung
die ganze Welt erneut in ein versehrend Feuer
und riss auch dich aus deinem trauten Kreise
und trieb dich mit den Ungezählten fort
in wilder Hast, gejagt von Ort zu Ort,
als ob nie enden sollte diese Reise.
Wo bist du nun? Wohin hat das Geschehen
dich wie ein hilflos Blatt vom Baum geweht?
Aus welcher Ferne kommt heut dein Gebet
in unsern Traum und fleht um ein Verstehen?
O sei nicht traurig – unsrer Liebe Schwingen,
erstarkt vom Strom der Tränen, der sie netzt,
sie werden dich einst unverletzt
zurück in die ersehnte Heimat bringen.
Viele herzliche Grüße
von Deiner Mutti
Gedicht aus der Kur in Wiesbaden vom 15. 4. 1944
aus den Bäribriefen
